Ein Kommentar von Markus Sorger über das einzige Festival, das er privat besucht
In den letzten Tagen kochte die Diskussion um die Sicherheitsauflagen beim diesjährigen Fusion-Festival hoch. Zum einen haben die Behörden Ergänzungswünsche zum Sicherheitskonzept, zum anderen möchte der zuständige Polizeipräsident eine Polizeiwache auf dem Festivalgelände installieren und vor Ort auch Streife laufen lassen.
Während die Festivalverantwortlichen jede Mühe versprechen, die Auflagen zum Sicherheitskonzept zu erfüllen, stellt sich für sie die Anwesenheit von Polizei auf dem Gelände außerhalb von Notfällen als rote Linie dar, die sie nicht überschreiten wollen.
Die Fusion, ein buntes, linksalternatives Festival an der Müritz, das vor 22 Jahren aus einer kleinen Technoveranstaltung entstand und sich bis heute zu einem wilden Mix aller möglichen Musik- und Kulturformen mit 70.000 Besuchern entwickelt hat, ist das einzige Festival, das ich privat besuche, wenn ich denn das Glück eines zugelosten Tickets habe und nicht, wie dieses Jahr, auf einer anderen Veranstaltung arbeite. Ehrlicherweise reizen mich die anderen Festivals eher nicht. Ich habe die meisten von ihnen in der Vergangenheit als Tourcrew kennenlernen können, aber letztlich wären mir diese Festivals als Privatmensch zu kommerziell, zu nervig, zu einseitig, zu voll.
Die Stimmung auf der Fusion ist grundlegend anders zu allen anderen Festivals: dadurch daß es durch einen gemeinnützigen Verein organisiert wird, gibt es keine Werbung, kein Sponsoring. Die Stimmung ist sehr relaxed, die Menschen sehr aufmerksam miteinander. Sie verteilen sich auch sehr gut auf dem großen Gelände, da es 28 Spielstätten gibt und die Geschmäcker der Leute einfach sehr unterschiedlich sind. Zwischen Techno, Metal und Liedermachern, Konzert, Theater und Kino, OpenAir, Zelt und Flugzeughangar liegt die Bandbreite des Angebots. Jedes Jahr merkt man aufs Neue, wie sich das Festival weiterentwickelt, wie es noch schöner, noch übersichtlicher, noch sicherer wird. Und wie man das ewige Problem der Festivaltoiletten löst — mit Kompostellas.
Bisher keine nennenswerten Zwischenfälle
In der Vergangenheit gab es auf dem Gelände keine Polizei, es sei denn, sie wurde explizit gerufen, was jedoch faktisch nie vorkam, sondern rundherum insgesamt bis zu 250 Beamte, die im Mehrschichtsystem eingesetzt wurden und jedes Jahr endete die Fusion mit dem offiziellen Polizeibericht, daß es keine nennenswerte Zwischenfälle gab. Ganz im Gegenteil äusserte der ehemalige Polizeichef sich dahingehend, daß jedes Schützenfest mehr Stress erzeuge, als dieses Festival.
Der neue Polizeipräsident von Neubrandenburg, Nils Hoffmann-Ritterbusch, äußerte am Dienstag in einer Pressekonferenz, dass in der Vergangenheit vielleicht nur deshalb keine Zwischenfälle bekannt geworden seien, weil keine Polizei vor Ort war, die diese hätte aufnehmen können. Er könne sich nicht vorstellen, warum die Anwesenheit der Polizei beim Feiern stören könne. Für ihn sei die Anwesenheit der Polizei eine Selbstverständlichkeit. In einem Interview am Wochenende sagte er, daß er nach den bisherigen Erfahrungen mit vielen gewaltbereiten Beteiligten rechne. Mein persönlicher Eindruck ist: da verwechselt jemand linksalternativ mit linksautonom. Er selbst war (natürlich) noch nie auf einem Festival, geschweige denn auf der Fusion.
Ein Betreuungsschlüssel von 1:7
Ich arbeite regelmäßig als Produktionsleiter, bin seit vielen, vielen Jahren auf unzähligen Veranstaltungen und selten fühle ich mich so sicher, wohl und entspannt, wie auf der Fusion (nein, ich rauche nicht; nichts). Ja, es ist nicht jeder Paragraph der VStättV im Wortsinne erfüllt (ob dieses Gesetzt auf der Fusion überhaupt rechtlich anwendbar ist, bezweifelt Veranstaltungsrechtanwalt Thomas Waetke im SpiegelOnline-Interview), aber Veranstalter und Besucher achten gemeinsam darauf, dass Sicherheit für alle Beteiligten trotzdem, oder gerade deshalb gewährleistet ist.
Besonders die Atmosphäre des gegenseitigen Achtgebens (und natürlich die bauliche und organisatorische Umsetzung des umfangreichen Sicherheitskonzepts) ist es, das die Atmosphäre dieses Festivals ausmacht. Dazu kommt, dass auf dem Gelände während des Festivals bis zu 10.000 zum größten Teil ehrenamtliche Helfer sind, die das Gelände kennen, eingewiesen und jederzeit ansprechbar sind und wissen, wie zu reagieren ist. Quasi eine 1:7 – Betreuung.
Tatsächlich frage ich mich, ob in einer ausführlichen Gefahrenanalyse die Einführung von Polizei auf dem Gelände nicht als Negativpunkt zu bewerten wäre. Nach 250 Beamten im letzten Jahr sucht die Polizei nun offiziell 1.100 Unterkunftmöglichkeiten rund um das Gelände. Da fragt man sich ja schon, was die Behörden planen und ob man nicht an einer selbsterfüllenden Prophezeiung arbeitet. Ich selbst rechne bei Polizeipräsenz auf dem Gelände ob der Grundstimmung ehrlicherweise eher nicht mit Krawallen, sondern mit eher lustigen, phantasievollen und auf Dauer vielleicht doch nervigen Aktionen und möchte mir dann aber nicht vorstellen, wie die Polizei darauf reagiert. Besonnenheit ist nicht immer die Stärke der Beamten.
Der Staat kann keine Sicherheit garantieren
„Ich möchte morgens noch in den Spiegel schauen können, wenn etwas passiert ist und ich mich fragen muss: habe ich mich für die richtigen Dinge eingesetzt“, sagte der Polizeipräsident am Dienstag. Bei der Gefahr einer Eskalation eben durch Polizei ist das eine berechtigte Frage. Der Staat kann keine Sicherheit garantieren; niemals. Eine gewachsene Struktur der Entspannung und der gegenseitigen Achtsamkeit halte ich allerdings für besser und nachhaltiger, als jedes Polizeiaufgebot bei einer Veranstaltung, die traditionell äußerst friedlich abläuft. Ich sehe hier keine eklatanten Planungsfehler wie in Duisburg (schon das Gelände an sich war dort ungeeignet). Von daher würde ich mir wünschen, daß der Staat privates Feiern eben privat sein läßt.
Nachtrag (8. Mai 2019, 16:27)
Bei der Pressekonferenz des Kulturkosmos‘ als Veranstalter der Fusion am Mittwoch, den 8. Mai 2019, betonten nochmal alle Beteiligten, dass sie selbstverständlich mit den Genehmigungsbehörden zusammenarbeiten und bei Zweifeln am Sicherheitskonzept Lösungen konstruktiv erarbeiten wollen. Das schließt auch eine Polizeiwache auf dem Fluggelände direkt am Zugang zum Festivalgelände (aber eben außerhalb des eigentlichen Festivals) ein. Nicht erwünscht seien aber definitiv anlasslose Polizeistreifen auf dem Festival. Dagegen werde man auch auf dem Rechtswege in allen Instanzen vorgehen.
Sehr interessant fand ich die Reaktion des zuständigen Bürgermeisters und ehemaligen Kultusministers Henry Tesch, der ebenfalls auf der Pressekonferenz Gast war. Der zeigte sich fast erbost darüber, daß eine einzelne Person („ein durchreisender Entscheidungsträger“) die langjährige Arbeit aller bisher am Festival beteiligter Behörden in Frage stelle und kaputtmache. „Wenn der Polizeipräsident mit dem Helikopter über das Gelände fliegt, um sich einen Überblick zu verschaffen, anstatt einfach vorbeizukommen und wir gehen dann gemeinsam über das Gelände, das ist ja auch viel gesünder, dann fehlt mir dafür das Verständnis.“
Ich teile die Meinung der Bookerin des Festivals, Suse von Essen: Die Philosophie des Festivals ist die Freiheit der Kunst und die kann man nicht durch Polizei schützen.
Autor: Markus Sorger
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Es folgt das Video
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