„Unser Job als Techniker ist es unauffällig zu sein. Das wurde uns während Corona zum Verhängnis“
Udo Lindenbergs Crewmembers reflektieren ihre Erfahrungen mit Cronahilfen, Bürokratie und fehlender Wertschätzung – Die Krise in der Branche ist nicht vorbei – im Gegenteil.
Den Begriff „backstage heroes“ führte während der Corona-Pandemie Matthias Gibson, ehemaliger BMG-Ariola-Geschäftsführer und Manager von Peter Maffay, in die kulturpolitische Diskussion ein. Er meinte damit die vielen, oft hochqualifizierten Freiberufler, die eine aufwändige Kulturproduktion im Hintergrund erst möglich machen.
„Unser Job als Techniker ist es unauffällig zu sein! Und genau das ist uns während Corona zum Verhängnis geworden, genau deswegen hatte uns niemand auf dem Schirm“, sagt Claus (49) und LED-Techniker in der Produktionscrew von Udo Lindenberg. Und Veranstaltungstechniker Alex (34) über jene, die die Branche verlassen haben: „Die brennen nach wie vor für den Musikjob, aber hier fehlt ihnen die Sicherheit des Einkommens, wenn die Politik die Soloselbständigen bei der nächsten erwartbaren Notlage wieder im Bürokratiedschungel hängen lässt.“
Hier liegt das Dilemma für den bevorstehenden Herbst. Die Politik hat keine Konzepte und keinen Plan für die Kulturbranche. Tourneen brechen gerade dutzendweise weg. Die Kulturpolitik ignoriert das, spricht von einem tollen Festivalsommer. Technikcrews graut vor dem Herbst und der nochmaligen Perspektive Hartz IV. Denn wer in der ersten Pandemiephase Anträge auf Hilfsgelder stellte, berichtet von unglaublichen Vorgängen und Abläufen im Kampf mit der Bürokratie. Wir konnten einige zufällig ausgewählte Betroffene bei der „Udopium-Live“-Produktion hinter den Kulissen befragen und Bilanz ziehen.
Die Produktion mit der Udo Lindenberg diesen Sommer rund zwei Monate auf umjubelter Tournee war, umfasste Equipment, das mit 18 Sattelschleppern transportiert wurde. Zusätzlich waren die rund 100 Produktionsmitarbeitende mit vier Nightlinern, zwei Bandbussen und einem Bus für die Kindertruppe der Show unterwegs.
Alles hoch spezialisierte und qualifiziert Experten und Fachleute, die es schaffen einen gesamten Bühnenaufbau mit LED-Wänden, Lautsprechern, Lampen und zigtausenden von Einzelteilen wie ein großes Puzzle am frühen Morgen ab 6 Uhr in der Münchner Olympiahalle auf- und bis nachts um 3 Uhr wieder abzubauen – und so zu verstauen, dass das Ganze am nächsten Veranstaltungsort wiederholt werden kann. Von der logistischen Ablaufperfektion, der Flexibilität und Koordinationsfähigkeit dieser nochmals um weitere rund 100 örtliche Helfer verstärkten Truppe könnte jede Behörde lernen! Dann wäre mit Sicherheit auch die Corona-Krise in Deutschland besser bewältigt worden.
Alle Gesundheitsminister wären begeistert von der Disziplin bei der Udo Lindenberg-Produktion. Zur Ausrüstung gehört auch eine mobile PCR-Teststation. Wir kommen erst backstage in die Olympiahalle, nachdem vor Ort der PCR-Test negativ ist. Ansonsten werden alle in der Truppe täglich mit Schnelltests gecheckt und laufen von früh bis spät mit FFP2-Maske umher. Nach freien Tagen oder Abwesenheit aus der Crew, kommt man nur mit negativem PCR-Test wieder zur Truppe. Es ist ein Leben wie in einer Hygieneblase – von Mai bis Juli, wochentags und am Wochenende.
Diese Menschen nehmen für ihren Beruf immense Strapazen auf sich. Alle lieben ihren Job. Dafür brennen sie. Aber Politik und deutsche Bürokratie zeichneten während der Pandemie dafür verantwortlich, dass etliche Menschen die Branche ausgebrannt verlassen haben. Auch Selbstmorde sind durch die Medien bekannt geworden.
Bürokratie unvorbereitet und heillos überfordert
„Ich war plötzlich arbeitslos, beziehungslos, wohnungslos und perspektivlos!“ sagt Marcus (61) und Stagemanager. Er wollte mit 60 aufhören und die Stadiontour von Udo Lindenberg, der 2021 damit auch sein 75. Lebensjahr gefeiert hätte, sollte der Schlusspunkt sein. Stattdessen musste er viele seiner Rücklagen aufbrauchen und jetzt zudem weiterarbeiten. „Am meisten ärgert mich persönlich, dass man mich quasi als Verbrecher hingestellt und das Gefühl vermittelt hat, ich würde den Staat betrügen“.
Er, der in den letzten Jahrzehnten in Deutschland, Europa und der ganzen Welt mit Stars wie Falco, Wolfgang Ambros, OPUS, Gianna Nannini, Peter Maffay, Udo Lindenberg, Marius Müller-Westernhagen, PUR u.v.m. unterwegs war, hat in dieser Zeit in Deutschland erhebliche Steuern bezahlt. Für diese Weltstars war er honoriger und zuverlässiger Partner – geschäftlich, sowie als Mensch. „Aber für die deutsche Bürokratie wurde ich im Krisenausnahmefall zum potentiellen Verbrecher, der sich ein paar Euros erschleichen wollte.“ Marcus redet von dem Krisenwerkzeug, das die Politik „vereinfachte Grundsicherung“ genannt und fast als paradiesische Metapher gepriesen hat, wie andere das Hartz IV-Level umschreiben.
„Ich war ja nicht arbeitslos, weil ich einen schlechten Job für einen meiner Künstler abgeliefert hätte“, fährt er fort. „Meine Arbeitsleistung ist immer 150 Prozent“ sagt er, der enorme auch sicherheitstechnische Verantwortung trägt, wenn viele der rund 200 Menschen die in der Halle buchstäblich beim Aufbau „wuseln“, zu koordinieren sind.
Flexibilität ist eine der größten Herausforderungen in der Veranstaltungsbranche. Das hätte er auch von der Verwaltung erwartet, mit der er während Corona in Konflikt geriet. Flexibilität, Praxis- und Menschennähe hat er von der Bürokratie aber nicht zurückbekommen. Es gab Probleme, weil er bis Corona bei seiner Freundin wohnte, während sein Sohn mit Partnerin in seiner Wohnung blieb. Nach der Trennung gab es Differenzen bei der Berechnung des Wohngeldes.
Es dauerte Monate, bis er endlich eine, dann auch teurere, Wohnung fand: „Man kann sich in einer Großstadt ja ganz toll bewerben – als selbständiger Arbeitsloser in der Veranstaltungsbranche“, so sein sarkastisches Fazit. Die Bürokratie wollte weder seine Argumente hören noch sich sachlich damit auseinandersetzen und zahlte nur anteilig. Er war dann froh, als es nach einem weiteren halben Jahr endlich Soloselbständigenhilfe gab.
Gefangen im „Staatsversagen“
Fast noch krasser erging es Klaus (53), Gitarrentechniker seit 1998. Den Job macht er seit Jahrzehnten für „zwei große alte Herren der deutschen Popgeschichte“ und vor Corona hatte er damit über 200 Tage im Jahr gut zu tun. Einer ist Udo Lindenberg. Auch Klaus hat seine Familie in einer Großstadt zu ernähren und auch ihm habe die Grundsicherung „einen echten Strich durch die Rechnung gemacht“. Weil die Politik zu lange inaktiv war, hat er angefangen in einem Musikfachgeschäft auf 450 €-Basis zu arbeiten. Später hat er dieses Einkommen dem Jobcenter zur Berechnung seines Bedarfes mit angegeben. Und war der Meinung, dass das in die Berechnung mit eingeflossen sei. Unlängst bekam er die Quittung und man will jetzt für 15 Monate jeweils 450 € von ihm wieder zurückhaben. Weil sich eine „Verwaltung scheinbar nie verrechnet“, liegt das ganze jetzt beim Anwalt. Sein Fall zeigt auch exemplarisch, wie ein unsensibles Bürokratieverhalten bei den Menschen, die eigentlich volle Auftragsbücher hatten und fern jeder Hartz IV-Mentalität lebten, zu Verbitterung führen kann. Hier hat das selbst von der Politik benutzte Wort von „Staatsversagen“ seine Berechtigung bewiesen
Unbürokratische Hilfsprogramme: „Ein Hohn“
Er bedauert, jemals ein Hilfsprogramm in Anspruch genommen zu haben, findet den Begriff der „unbürokratischen Hilfe“ einen Hohn. Erst im Interview mit uns erfährt er, dass es in der gleichen Verwaltung einen sehr engagierten Künstlerdienst des Jobcenters gegeben hätte. Das hat ihm die Verwaltung aber nicht kommuniziert.
Bühnenbauer Alex (48) hat es gleich doppelt heftig erwischt. Die Frage, wie es ihm ergangen ist, beantwortet er deftig: „Beschissen wäre noch geprahlt!“ Seine Frau arbeitet im gleichen Gewerbe, ist bei ihm angestellt und versorgt daheim gerade die beiden gemeinsamen kleinen Kinder im Vorschulalter, während er mit Udo Lindenberg unterwegs ist. In wenigen Wochen tauschen sie die Rollen. Dann ist seine Frau mit PUR unterwegs und er betreut die Kids.
Dieses Anstellungsverhältnis kickte ihn schon mal aus der Soloselbständigenhilfe. Er teilt damit auch das Schicksal anderer berühmter Fernsehkabarettisten, die ihre Frau z.B. für die Betreuung der Online-Auftritte angestellt hatten und deshalb nicht in das von Bürokratieköpfen erdachte Förderschema passten.
Alex angefressen: „Früher wurde ich mal gefragt, was das Schlimmste sei, das mir passieren könnte. Da dachte ich noch, dass mir mal vielleicht jemand mein Werkzeug für 15.000 € klauen könnte“. Um ernüchternd fortzufahren: „Aber Corona und die unrealistischen Hilfen für die Veranstaltungsbranche haben das um ein Vielfaches überstiegen“.
Erschwerend kam bei ihm hinzu, dass er während der Pandemie in ein anderes Bundeslang umgezogen ist. Bis die Bürokratie Akten im Digitalzeitalter transferiert, ist für ihn als Logistik-Crack unfassbar. Er konnte nur überleben, weil er seine für die Alterssicherung gedachten 75.000 € Rücklagen für den Fortbestand des Gewerbes und die Bedarfe der Familie aufbrauchen, oder in seinen Worten „verplempern“ musste.
Die deutsche Bürokratie war mit dieser Spezies Mensch aus der Veranstaltungsbranche völlig überfordert. Dass da Menschen mit vollen Auftragsbüchern vor einem möglicherweise schlecht bezahlten Verwaltungsangestellten saßen, offenbarte sich schon früh als Dilemma im Vakuum von Arbeitslosigkeit und Berufsausübungsverbot. Ob der Quantitätsfaktor mit ursächlich für den Qualitätsverlust der Bürokratie wurde, ließe nur den Spekulationen freien Lauf und wäre eigentlich eine Aufgabe für die Bürokratieabbaubeauftragten allerorten.
Und Alex berichtet von einem anderen Kuriosum, einem „fast schon verdeckten Anruf“ der Bürokratie. O-Ton gerafft: Man habe den sozialen Medien entnommen, dass Künstler jetzt (Anm.: Januar 2022) ihre Mitarbeiter unterstützen oder anstellen würden. Zudem sei die Branche Anfang 2022 doch wieder im Aufwind und der Hilfebedarf damit doch obsolet geworden. Im Internetzeitalter sind Erwachsene allseits angehalten ihren Kindern zu erklären, dass man nicht alles auf Social Media glauben dürfe.
Und dann kommt eine deutsche Behörde und plappert ungeprüft etwas daraus nach. Augenscheinlich bezog man sich auf eine der Größen im deutschen Rockgeschäft, der aber hauptsächlich sein Büropersonal weiterbeschäftigt hatte. Als Unbedarfter im Verwaltungsdickicht weiß ein Antragsteller aber nicht, dass so ein Behördenverhalten bestens geeignet ist für eine Dienst- bzw. Fachaufsichtsbeschwerde um sich zu wehren.
Jobwechsel statt Bürokratiekampf
Stattdessen hat das Image der Behördenrepressionen und Rückforderungen dazu beigetragen gar keine Hilfsanträge zu stellen. LED-Techniker Claus: „Ich weiß von vielen, die lieber nichts beantragt hatten, um nichts falsch zu machen, weil es unheimlich kompliziert war.“ Er selbst ist relativ glimpflich durch Corona gekommen, da er noch für einen anderen Künstler arbeitet, der eine Fernsehsendung hat und somit die Beschäftigung nicht komplett auf null gefallen ist.
Anders Johannes (34), Veranstaltungstechniker. Er hat zu Pandemiebeginn zunächst in einer Zimmerei gejobbt und sich später als technischer Leiter eines Impfzentrums seiner süddeutschen Heimatstadt über Wasser gehalten. Hier kam er über sein ehrenamtliches THW-Engagement rein und als sich herausstellte, dass für die Zulassung eines Impfzentrums in der Halle eine Fachkraft für Veranstaltungstechnik erforderlich war, fiel die Wahl auf ihn. Zumal er die Hallenlogistik von Konzerten, die er mit betreut hatte, schon kannte.
Er berichtet aber auch von „vielen Ex-Kollegen, die während Corona in die Elektrobranche abgewandert sind und jetzt Elektroladesäulen für Autos aufbauen“. Von zahlreichen hätte er gespiegelt bekommen, dass die wohl nicht mehr in den Tourbetrieb zurückkämen. Denn sie haben die Annehmlichkeiten erkannt, regelmäßige Arbeitszeiten zu haben, sowie abends und an Wochenenden daheim bei der Familie sein zu können. Alex: „Die brennen nach wie vor für den Musikjob, aber hier fehlt ihnen die Sicherheit des Einkommens, wenn die Politik die Soloselbständigen bei der nächsten erwartbaren Notlage wieder im Bürokratiedschungel hängen lasse.“
Kabarettistin Birgit S. und Musiker Dieter W. hatten während der Pandemie sogar via Social Media vom Treffen mit einem Landeskunstminister berichtet, der den anwesenden Kreativen statt dem Kulturberuf lieber den Wechsel in den Lehrerjob empfohlen hatte. Denn dort gäbe es einen enormen Bedarf. Kultur können man dann ja nebenbei weiterbetreiben. Bei so viel Fachkompetenz und politischem Support braucht sich dann nach zwei Jahren niemand mehr über Personalmangel in der Kulturbranche zu wundern.
„Model Österreich“ in Deutschland chancenlos?
Dabei ist der Politik längst eine konkrete Alternative bekannt. So wird in der Branche ein in Österreich erfolgreich praktiziertes Modell (www.svs.at) konstruktiv diskutiert, das neben Sozialversicherungen auch eine „Arbeitslosenversicherung für Gewerbetreibende und Neue Selbständige“ umgesetzt hat. Alex: Wenn es ein solches Modell auch in Deutschland gäbe, bin ich sicher, dass 80 bis 90 Prozent aus unserer Branche sagen würden, sie zahlen in so etwas ein.“
Aber die Hoffnung, dass deutsche Politik so etwas umsetzen will und wird, ist realistisch gering. Deutsche Politik mache hier einen sehr schlechten Job, so die Unisono-Meinung. Seit Jahren gibt es die Forderung nach Übernahme des österreichischen Modells für Freiberufler. Seit Jahren tut sich nichts, was sicherlich auch in der Heterogenität der Vielzahl betroffener Berufe begründet liegt. Corona scheint daran nichts geändert zu haben.
Fehlende Wertschätzung gegenüber Kulturberufen
Die Betroffenen führen das im Gespräch auch auf die ihnen durchwegs begegnete fehlende Wertschätzung von Politik und Behörden zurück. Menschen aus Politik und Behörden gingen ebenfalls gerne zu fantastischen Kulturevents, so die Techniker. Wer das baut und ermöglicht, sei aber vielen egal.
Alex sieht die Ursache auch in Vorurteilen: „Gerade uns im Touring begegnet man vielfach mit Vorurteilen, als wären da nur koksende Typen unterwegs“. Was aber „völliger Quatsch“ sei, denn „das geht bei der Verantwortung gar nicht, die wir haben“, und verweist darauf, dass alleine dutzende Tonnen Ausrüstung in der Halle unter die Decke gehängt werden müssten, unter denen Menschen stehen.
„Söder kann sofort hospitieren“
„Wir sind eine Riesenbranche, die von der Politik missachtet wird“ sagt Alex und würde zum gegenseitigen Verständnis „auch einem Markus Söder Helm und Sicherheitsschuhe anbieten, um mitzuarbeiten und zu sehen, was wir hier leisten und wie penibel wir hier alle arbeiten, damit sich jede und jeder sicher fühlen kann“. Markus Söder habe „gerade noch das richtige Alter für uns“. Er „sieht fit aus und wenn er keine zwei linken Hände“ habe, könne er sofort hospitieren.
Autokinos ein Schuss ins Knie, weil Politik geblendet
Marcus weist final auch noch auf Fehler der Branche hin: „Autokino-Konzerte waren für mich das falscheste Signal an die Politik“. Fehlender Entertainmentcharakter sei noch das geringere Übel gewesen, „aber die Politik hat geglaubt in der Kultur geht wieder etwas; mit dem Rückschluss, sich nicht mehr um die Probleme der Branche kümmern zu müssen“. Hier sei die Situation in der Anfangsphase der Pandemie vergleichbar mit dem Sommer 2022, wo viele kleinere Veranstaltungen um das Überleben kämpfen oder gar nicht stattfinden, während die Politik sage, dass es ja wieder tolle Festivals gegeben habe. Unter die Decke blicke da keiner, weil das der Politik Arbeit und Geld kosten würde. Das sei fatal und deswegen ist die Branche auch noch längst nicht über den Berg. Und es wird noch eine Herausforderung, ob beispielsweise ein Markus Söder zu seinem Wort steht, die Kulturbranche und ihre Mitwirkenden „bis Pandemie-Ende“ zu unterstützen.
Autor: Bernd Schweinar (auch © alle Fotos) # Dieser Text erschien ursprünglich auf allmusic.de.
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